Krisenzeiten überleben
Tin Tin Bar
Klotzen nicht kleckern. In Krisenzeiten erst recht! Die Betreiber der Tin Tin Bar in Stuttgart verkaufen ihre Cocktails gleich flaschenweise. Ihr ungebremster Optimismus, ihre Fangemeinde auf Facebook und der Spülmaschinenhersteller ihres Vertrauens helfen dabei.
150 Prozent Einsatz für 50 Prozent Umsatz
Ein Klingeln. Doch anstatt an der Tür der Tin Tin Bar, klingelt drin das Telefon. Es steht kaum still – von Donnerstag bis Samstag zwischen 13 und 16 Uhr. Dann gehen die Bestellungen ein. Benji Blomenhofer, gelernter Steuerfachangestellter und Restaurantfachmann, nimmt sie entgegen. Sein Mitgesellschafter Jonas Hald steht dann schon seit drei Stunden hinter der Bar und bereitet vor: kocht, presst Säfte, spült Flaschen, bereitet den Vortag nach.
Die Gäste schätzen die Cocktails der Tin Tin Bar, vor allem wegen der selbsthergestellten Zutaten ohne Zusatzstoffe und weil sie mit viel Liebe und Herzblut zubereitet werden.
Bestellen kann man Drinks mit so klangvollen Namen wie Melissen Dissen, Rhabarberbarbara und Goosy & even more Lucy in schlanken Flaschen mit einem Korken verschlossen. Täglich zwischen 17 und 19 Uhr können sie abgeholt werden – im gleichen Zeitraum werden größere Bestellungen auch ausgeliefert. Ein Cocktail kostet rund 11 Euro. Das war vor Corona. Das war als die Gäste gemütlich in der Tin Tin Bar saßen, sich unterhielten und Abstand vom Alltag nahmen. Nun halten sie Abstand von der Bar, ordern die fünffache Menge für 25 Euro und trinken daheim.
„Für uns zählt jeder Tag.“
Benji Blomenhofer, Betreiber Tin Tin Bar in Stuttgart, Süddeutschland
Kein Darlehen und das Schlimmste ist die Ungewissheit
Seit Schließung der Bar rennen Benji und Jonas den Banken die Türen ein. Und sie rennen gegen eine Wand. Alles was sie seit Wochen zu hören bekommen, lautet in etwa so: „Keine neuen Kunden.“, „Keine Gastronomen“, „Abwarten was der Staat entscheidet“. Unterm Strich: Keine finanzielle Unterstützung. Wäre die Bar ein Unternehmen mit elf Mitarbeitern, würde der Staat 100 Prozent des Risikos eines KfW Darlehens übernehmen und die benötigten 50.000 Euro zur Überbrückung würden bewilligt. Was bleibt? Weitermachen und versuchen alles allein zu stemmen. Doch lange können sie das ohne finanzielle Hilfe nicht durchstehen.
Die Idee mit den Flaschen – Cocktails für zu Hause
Die Flaschen waren schon da. Davon wurden einst 1.500 Stück bestellt. Circa eintausend sind in den letzten vier Wochen befüllt und abgeholt bzw. ausgeliefert worden. Der eigentliche Antrieb einen Liefer- bzw. Abholservice einzurichten, war dem Umstand geschuldet, dass die selbstgemachten Zutaten wie Sirups, Cordials und Deko, wie Dörrobst, einen Shutdown von mehreren Monaten nicht überdauern. Weil sie keine Konservierungsmittel enthalten, verderben sie schneller als herkömmliche Ware und der Verlust wäre groß. Verloren wären Wareneinsatz, Arbeitszeit und alle Mühe.
Also wurde kurzerhand abgefüllt, beworben und vertrieben. Worauf sich die beiden Barbetreiber nicht einlassen wollen, sind Initiativen wie "Pay now eat later" oder "Support your local bar". Sie möchten zum einen nicht Bittsteller sein, sondern etwas tun und dafür entlohnt werden und zum anderen käme zwar jetzt Geld in die Kasse, jedoch zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung nicht. Geld für Miete und Wareneinsatz – vom Unternehmerlohn ganz zu schweigen – ist jedoch jetzt fällig.
Nachhaltig bleiben in Coronazeiten?
Die Drinks in To Go-Plastikbecher oder-flaschen abzufüllen, kam von Anfang an nicht in Frage. In der Bar wird auf alles, was zusätzlichen Müll verursacht, so gut es geht verzichtet. Deshalb wurde bereits vor der Eröffnung der Bar eine ganze Palette Glasflaschen geordert – gedacht als zusätzlicher Abverkauf an Barbesucher, als Geschenkidee oder Mitbringsel. Viele Cocktails gibt’s ja wirklich nur in der Tin Tin Bar. Anfangs fanden die Flaschen nicht ihren Weg zurück in den Kreislauf und verbrachten ihr zweites Leben als Öl- oder Essigflasche auf heimischen Küchenregalen der Cocktailgenießer.
Seitdem Benji und Jonas ihre Flaschen professionell spülen, funktioniert die Kreislaufwirtschaft. Von Hand wäre das zeitlich nicht schaffbar gewesen. Die Cocktailliebhaber können nun ihre leeren Flaschen zurückbringen und erhalten beim Abholen der nächsten Order einen kleinen Betrag zurück. Sie bekommen für jede Flasche mit Korken 0,50 Euro erstattet. Wer seine eigene Tasche mitbringt, erhält ebenfalls 0,50 Euro Nachlass auf seine Bestellung. So verfolgen die Barbesitzer auch während der Corona-Pandemie gemeinsam mit ihren Fans den Low Waste Gedanken weiter – im Sinne der Nachhaltigkeit und des Zusammenhalts.
Geringste Klarspülwassermengen und ein effektives Energiemanagement führen zu einem hochgradig ökonomischen Spülbetrieb sowie einer erstklassigen Ökobilanz.
Doch Benji und Jonas konnten ein Pfandsystem einrichten. Mit dem Flaschenkorb von MEIKO war es möglich. Der Korb wurde Anfang des Jahres auf der Intergastra vorgestellt. Mit ihm sind die Barbetreiber in der Lage 16 Flaschen in nur zwei Minuten bei 67 Grad, also HACCP-konform und virenfrei – ja auch coronavirenfrei – zu spülen. Saubere Sache. Das und die Tatsache, dass eine Stuttgarter Agentur ihnen einen Webshop eingerichtet hat – gratis – gibt Auftrieb und hilft in dieser schwierigen Zeit. #zusammenhalten. Jeder hilft, wo er kann.
Warum das alles?
Zehn-Stunden-Tage an sieben Tagen die Woche – seit Corona Alltag für Benji und Jonas. Warum machen sie das? Zum einen für sich selbst. Und zum anderen natürlich für ihre Gäste. Benji meint: „Wir alle gehen gemeinsam durch diese schwierige Zeit. Für den einen gehört der Barbesuch einmal pro Woche oder pro Monat zum Leben dazu – wie für den anderen der Kaffee am Morgen“.
Die Barbesitzer wollen ein Stück Normalität, ein Stück Tin Tin, ein Stück Leben – für sich selbst und für ihre Gäste. Dafür treten sie jeden Tag aufs Neue an. Und für das Klingeln! Das ersehnte Klingeln an ihrer Bartür, um sie zu öffnen, die Gäste in Empfang zu nehmen, zum Platz zu begleiten und ihnen einen schönen Abend in der Tin Tin Bar zu bereiten.